Die Glücksspieler

Dieser Blog ist garantiert coronafrei und klimaneutral. Denn es gibt ja auch noch andere Themen, die das Leben prägen. Zur Abwechslung soll hier von unserer Kompromissdemokratie die Rede sein, die bisweilen gar träg und kompliziert ist, der Schweiz aber ganz anständigen Wohlstand und politische Stabilität beschert hat. 

Sie ist in Gefahr. 

Denn sie franst aus. Mehr noch: Im Innern zeigt sie feine Risse, auch wenn ihr Zustand längst nicht so besorgniserregend ist wie etwa in der weiterhin von Trump vergifteten Gesellschaft der USA. Unser Gemeinwesen demokratischer Prägung zeichnet sich, egal auf welcher Stufe, durch Meinungsvielfalt und Kompromissfähigkeit aus. Letztere aber geht zunehmend verloren oder wird ins Lächerliche gezogen – dies zumindest ist mein subjektiver Eindruck -, indem immer mehr Akteure penetrant ihre Weltsicht durchzusetzen versuchen, sich in ihren Schützengräben verbarrikadieren und in Richtung Andersdenkender zielen. Die Fähigkeit zu Streitkultur und Reflexion weicht dem Hang zur Selbstgerechtigkeit. Eine funktionierende Auseinandersetzung und Meinungsbildung ist indes nur möglich, wenn die Akteure nicht nur reden, sondern auch zuhören; nicht nur schreiben, sondern auch lesen; nicht nur senden, sondern auch empfangen. 

Als mögliches Beispiel dieser Fehlentwicklung dient etwa die Debatte um ein neues Mediengesetz, in der einzelne Akteure ungeniert ihre Eigeninteressen pflegten, verbunden mit dem penetranten Hang zur Selbstdarstellung. Die Notwendigkeit einer gesunden Medienvielfalt für den demokratischen Prozess geriet darob ins Hintertreffen. Aus diesem Kreis lobe ich mir jenen Alt-Nationalrat und Allzeit-Lobbyisten, der sein Sendungsbewusstsein mittels ganzseitigem Inserat in der NZZ zur Geltung brachte. Noch nie prangte sein Antlitz so gross in dieser Zeitung, es stand über dem Inhalt. Der Mann zeigte damit: Es ging um Selbstdarstellung und den Beleg, sich das teure Inserat leisten zu können. Das immerhin war mal ganz direkte Medienförderung. 

Ob sich Eigensinn oder Gemeinsinn durchsetzen, wird sich auch bei einem ganz anderen Beispiel beobachten lassen: der milliardenschweren Sanierung des Alpenrheins. Der Fluss soll für extreme Hochwasserereignisse fit gemacht werden – um unermessliche Schäden an Mensch und Infrastruktur zu verhindern. Es gibt (auch hier) keine Lösung ohne Nebenwirkungen in die eine oder andere Richtung; gefragt ist eine Kompromisslösung. Beharren alle Parteien auf ihren Maximalforderungen, wird es gar keine Lösung geben. 

Eine Gesellschaft, in der die Totengräber der Kompromissdemokratie die Oberhand gewinnen, ist in Gefahr. Letztere stellen sich nur in den Dienst der eigenen Sache. Sie sind nicht liberal, sondern libertär; egoistisch, nicht freiheitlich. Ich nenne sie Glücksspieler: Sie gieren nach eigenem Glück, vor allem aber treten sie das Glück der Anderen. 

Ich möchte nicht auf sie wetten. 

Jörg Krummenacher
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